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Susanne Wuest im großen Cannes-Talk

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Bei den Filmfestspielen an der Côte d‘Azur feierte Susanne Wuest die Premiere von „In die Sonne schauen“. Im Interview spricht sie über Cannes, die Filmfestspiele und die Arbeit mit einer neuen Generation Regisseurinnen. 

Jennifer Lawrence, Natalie Portman und Angelina Jolie: Zu den  Filmfestspielen in Cannes  sind Stars aus der ganzen Welt angereist. Auch Österreich war vertreten: Susanne Wuest (45) ist zur Weltpremiere des Films „In die Sonne schauen“ (im September im Kino) angereist, der auch im Wettbewerb war. Für den roten Teppich wählte die Schauspielerin, die für ihre starke Präsenz auf der Leinwand bekannt ist, ein extravagantes Kleid von Vivienne Westwood und kombinierte es mit Schmuck von Cartier. Viel mehr als auf glamourösen Schaulauf hat sie sich aber darauf gefreut, den Film erstmals auf der Leinwand zu sehen.

Worauf haben Sie sich bei den Filmfestspielen in Cannes am meisten gefreut?
Susanne Wuest:
Darauf, den Film zum ersten Mal auf einer großen Leinwand zu sehen. Kino ist ein Erlebnis. Es macht einen Unterschied, ob man einen Film zu Hause auf einem Notebook sieht oder ob man im Kino sitzt und die Atmosphäre mitbekommt. „In die Sonne schauen“ war in Cannes im Wettbewerb.

© Neue Visionen Film
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Was bedeutet Ihnen das?
Wuest:
Mich freut das sehr. Ich will Regisseure und Autoren wie Mascha Schilinski und Louise Peter auf lange Frist gewinnen sehen. Sie sind nicht nur außergewöhnliche Künstlerinnen, sondern auch außergewöhnliche Menschen. Die Art und Weise, wie Mascha gedreht hat, war vorbildlich. In dem Film spielen viele Kinder. Mascha hat immer in ihrem besten Interesse gehandelt und hatte ihr Wohlbefinden im Auge.

Susanne Wuest bei den Filmfestspielen von Cannes.
© Rakuto Makino
× Susanne Wuest bei den Filmfestspielen von Cannes.

Haben Sie auch andere Erfahrungen gemacht?
Wuest:
Ich kenne so viele Leute, die denken, das Ergebnis rechtfertigt Methoden, die verwerflich sind, die diesen entsetzlichen Satz „Product over process“ leben. Ich habe selten erlebt, dass dieser Leitgedanke dazu führt, dass ein Produkt besser wird. Mascha ist das Gegenteil davon. Das ist jetzt die Belohnung dafür und es ist der Beginn einer langen Reise. Ich bin stolz, dass ich bei dem Start einer wahrscheinlich außergewöhnlichen Karriere dabei sein darf.

Was können Sie über „In die Sonne schauen“ und Ihren Part verraten?
Wuest:
Der Film handelt von mehreren Generationen, die ein Trauma immer und immer wieder erleben, von dem sie aber nicht wissen, woher es kommt. Mit dieser Aufarbeitung von Traumata, die wir „nur“ vererbt bekommen haben, beschäftigen wir uns zeitgeistmäßig gerade viel. Nur unter Anführungszeichen, weil es viel schwerer ist, ein Trauma aufzuarbeiten, das vielleicht Generationen davor passiert ist.

Das ist es, was in diesem Film passiert. Auf einem Bauernhof im Jahr 1910 geschieht etwas, das sich viele Generationen hindurch auf die Frauen dieser Familie auswirkt. Meine Figur ist eine Bäuerin, die Mutter einer größeren Familie. Diese Frau ist sehr durch den Verlust ihrer Kinder geprägt. Sie versucht, ihren Sohn daran zu hindern, in den Krieg zu ziehen. Das löst etwas aus, das sich dann über Generationen hinweg zieht.

Ist die Arbeit mit einer Regisseurin anders als mit einem Regisseur?
Wuest:
Ich merke einen großen Unterschied, vor allem in dieser Generation, die nachkommt. Diese Regisseurinnen, die jetzt in den Dreißigern sind, haben eine andere Herangehensweise gelernt. Sie haben eine andere Ruhe und Selbstsicherheit. Gerade von Mascha kann ich das sagen, aber mir fallen noch ein paar andere ein. Ich habe zu keinem Zeitpunkt mit einer dieser Frauen das Gefühl gehabt, jemand muss sein Ego durchboxen.

Laeni Geiseler, Hanna Heckt, Lena Urzendowsky, Susanne Wuest und Luise Heyer an der Croisette.
© Getty Images
× Laeni Geiseler, Hanna Heckt, Lena Urzendowsky, Susanne Wuest und Luise Heyer an der Croisette.

Sie haben das Stichwort „Product over process“ angesprochen. Darüber wurde viel geredet. Hat sich auch etwas geändert?
Wuest:
Es wird immer viel geredet und es gibt immer mehr Seiten, die an einem Vertrag dranhängen, auf denen über Umweltfreundlichkeit und Mental Health gesprochen wird. Dass es die Idee gibt, ist schon ein Fortschritt. Die Umsetzung ist in beiden Departments noch ausbaufähig. Das ist immer geringeren Budgets geschuldet. Produktionen versuchen, mit einem Minimalbudget immer noch etwas Gutes zu machen. Das führt zu sehr langen Arbeitstagen. Das ist die eine Seite. Die zweite Seite ist diese neue Generation von Regisseuren und, das muss man wirklich sagen, vor allem Regisseurinnen: Sie arbeiten viel bedachter. Ich glaube, die Branche ist auf dem richtigen Weg.

Sie sind auch in der neuen Amazon Prime-Serie „Drunter und Drüber“ zu sehen und zeigen Ihre lustige Seite. War das eine schöne Abwechslung?
Wuest:
Ja. Ich würde gerne mehr solche Sachen machen und ich würde mich freuen, wenn „Drunter und Drüber“ in eine zweite Staffel geht. Das Team war bezaubernd und diese Charaktere sind so liebevoll beobachtet.

Sie haben auf Friedhöfen gedreht. Hat das etwas mit Ihnen gemacht?
Wuest:
Mit mir auf jeden Fall, weil auf diesem Friedhof, auf dem wir gedreht haben, meine Großeltern bestattet sind. Das war sehr schräg. Wir haben einmal mehr und weniger neben dem Grab meiner Großeltern gedreht. Was ich schön daran finde, auf einem Friedhof zu drehen, ist: Es holt einen Ort, der ein bisschen abgestellt ist, ins Leben hinein. Unsere Kultur könnte es vertragen, den Tod zu einem Teil vom Leben zu machen.

Susanne Wuest in der Amazon Prime-Serie
© Nikolett Kustos, Prime Video
× Susanne Wuest in der Amazon Prime-Serie

Sie drehen gerade ein neues Projekt, „Drunter und Drüber“ läuft und „In die Sonne schauen“ startet nach dem Sommer. Bei Ihnen ist viel los.
Wuest:
Ich habe noch eine Filmpremiere von einem wunderbaren kanadischen Film diesen Sommer. In „Inedia“ geht es um eine Sekte oder um eine Kultgemeinschaft, die behauptet, sie kann sich von Licht ernähren. Ich bin die Sektenführerin. Die großartige Amy Forsyth spielt eine junge Frau, der es nicht gut geht und die glaubt, diese Leute können ihr helfen. Er ist von der Regisseurin Liz Cairns.

Wieder unter der Regie einer Frau.
Wuest:
Das sind Filme, die von Frauen gemacht werden und Themen behandeln, die lange Zeit übergangen wurden. Auch der Film, den Mascha über das Leiden von Frauen über einen Zeitraum von 100 Jahren erzählt. Es ist heute noch so: Eine Frau verliert in der Schwangerschaft ein Kind – und wie wird das behandelt? Mich macht das so wütend. Es wird so getan, als könnte sie eh morgen ein neues Kind bekommen. Eine Fehlgeburt ist der Tod eines Kindes und in dem Moment auch der Tod einer Mutter.

Ich kann nicht nachvollziehen, dass man denkt, die Frau sitzt zwei Tage später wieder im Büro. Dieses Tabu oder dieses Stigma isoliert jemanden, der leidet. Der Verlust des Kindes ist traumatisch, und dass die Person isoliert ist, ihr Hilfe versagt wird, sie im Stich gelassen wird, ist ein Riesenproblem. Das gehört enttabuisiert. Das gehört normalisiert.

Was trägt der Film dazu bei?
Wuest:
Ich glaube, wenn sie gut gemacht sind und nicht wie Lehrfilme wirken, sondern eine Geschichte erzählen, können Filme dazu beitragen, dass die Leute normaler darüber reden. Und dass mit Empathie behandelt wird. Darum ist es gut, dass so viele Regisseurinnen nachkommen und es eine andere Beachtung findet. Ich sage nicht, dass Väter nicht auch leiden, wenn so etwas passiert. Ich sage nur, dass das einfach jahrhundertelang Frauensache war.

Genauso Frauengesundheit: Warum ist es normal, dass eine Frau Schmerzen hat? Endometriose, alles, was Frauengesundheit ist, dass Frauen nach der Geburt vielleicht inkontinent sind, wird behandelt, als müsste man damit leben. Wie schnell es sich ändern würde, wenn Männer einmal im Monat die schlimmsten Schmerzen hätten. Und darum ist wichtig, dass es Beachtung findet. Damit wäre so vielen geholfen – und am Ende – uns allen.

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